Lügen und Verhandeln

halifax consulting Veröffentlicht von Halifax Consulting – 7 September 2023

Ein großes Thema: Lügen in Verhandlungen! Ich bin Lehrbeauftragter und Forscher an einer großen Wirtschaftsschule. Seit nunmehr zehn Jahren untersuche ich mich den Bereich der Verhandlungen aus einer psychosozialen Perspektive. Meine Forschung hat sich zum Beispiel mit der zwischenmenschlichen Rolle von Emotionen in Verhandlungen befasst. Dabei geht es um die Frage, ob der Ausdruck bestimmter Emotionen während der Verhandlung – Wut, Traurigkeit oder auch Freude – mehr oder weniger Zugeständnisse seitens des Verhandlungsführers, der sie miterlebt, erzeugt. Daher der Begriff “zwischenmenschlich “, der sich auf die Wirkung der Emotionen eines Verhandlungspartners auf das Verhalten des anderen Verhandlungspartners bezeichnet.

Ich denke da sofort an Winston Churchill, der für sein cholerisches Temperament bekannt war, was Charles de Gaulle als Vorteil betrachtete, um seine Forderungen durchzusetzen. Übrigens ist es – ebenfalls in Verhandlungen – durchaus möglich, bestimmte Emotionen strategisch auszudrücken, d. h. ohne sie notwendigerweise zu empfinden. Das ist meiner Meinung nach bereits eine Form der Lüge, da man behauptet, Emotionen zu erleben, die man in Wirklichkeit gar nicht empfindet. 

Gerade das Thema Lügen in Verhandlungen ist Gegenstand sozialpsychologischer Studien, denn es gibt viele Fragen! Erstens: Was ist eine Lüge? Zweitens: Warum wird man zum Lügen verleitet? Gibt es bestimmte Persönlichkeiten, die “lügnerischer” sind als andere, bestimmte soziale Kontexte, die Lügen eher begünstigen? Und schließlich: Wie reagiert man auf eine Lüge?  

Was ist eine Lüge?

Diese Frage ist viel komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint. In Verhandlungen wie auch im gesellschaftlichen Leben gibt es zwei Kategorien von Lügen,: die Unterlassungslüge und die Begehungslüge.

Bei der Unterlassungslüge werden bestimmte entscheidende Informationen über den Verhandlungsgegenstand absichtlich nicht mitgeteilt. Die Unwissenheit über diese Informationen kann dem Verhandlungspartner, der das Opfer der Lüge wurde, schaden. Dabei kann es sich z. B. um ein Produkt handeln, bei dem man vergessen hat zu sagen, dass es fehlerhaft ist.

Die Begehungslüge unterscheidet sich von der Unterlassungslüge dadurch, dass sie eine Realität verändert oder eine neue erfindet. Ein Verhandlungsführer kann sagen, dass ihm bereits ein besseres Angebot unterbreitet wurde, obwohl er in Wirklichkeit keine Alternative hat, außer dem, was er in dieser Verhandlung erhalten könnte. Ein “lügender” Verhandlungsführer kann auch sagen, dass er kein besseres Angebot machen kann, weil ihm aufgrund des ihm erteilten Mandats die Hände gebunden sind. Diese beiden Beispiele für Lügen werden in der Literatur regelmäßig erwähnt, als ob sie irgendwie “traditionell” wären.

Es ist wichtig zu beachten, dass einige Lügen als ethisch weniger problematisch wahrgenommen werden als andere. Unterlassungslügen werden in der Regel eher toleriert als Begehungslüge.

Warum lügen wir?

In der Literatur werden mehrere Gründe für eine Lüge angeführt. Zunächst einmal lügt man, weil man vermutet, dass der andere ebenfalls lügt. Aus dieser Perspektive betrachtet, verdreht man die Realität, um nicht ausgenutzt zu werden. Dies erinnert mich an einen Artikel von Glick und Croson (2001), in dem sie verschiedene Arten von Ruf in Verhandlungen auflisten. Zu diesen zählen der Ruf als “Lügner und Manipulator” und der Ruf als “Windbeutel”. Nach diesen Autoren sind diese Reputationen besonders, weil sie die Gegenseite dazu verpflichten, ihrerseits zu lügen und zu manipulieren! Der Ruf des Verhandlungspartners, dem man gegenübersteht, ob er nun dafür bekannt ist, zu lügen oder im Gegenteil zu nett ist, ist also ebenfalls ein Grund zu lügen.

In der Literatur werden aber auch andere Erklärungen angeführt. Man kann lügen, weil man glaubt, dass man den Gesprächspartner in der Zukunft nie wiedersehen wird und die Lüge daher keine Konsequenzen hat. Man lügt weiter, um den Anteil des persönlichen Gewinns zu erhöhen, oder weil man die Wahrscheinlichkeit, “erwischt” zu werden, unterschätzt. Man lügt, weil es um Leben und Tod geht. Man lügt, weil man sich in einem unvorteilhaften Machtverhältnis befindet. Man lügt, um seinen Ruf zu schützen. Man lügt schließlich, weil man sein Gegenüber nicht mag. Die Gründe, in Verhandlungen zu lügen, sind, wie Sie sehen, zahlreich.

Ist Lügen in Verhandlungen tabu?

Um diese Frage zu beantworten, scheint es mir sinnvoll, zunächst zu klären, was man unter einem Tabu versteht. Ein Tabuthema ist ein Thema, das aus gesellschaftlichen oder moralischen Gründen besser nicht besprochen werden sollte. Gerade im gesellschaftlichen Leben werden Kinder dazu erzogen, nicht zu lügen, denn lügen “ist falsch”. Was das Verhandeln betrifft, ist die Perspektive etwas anders. Verhandlungen werden oft fälschlicherweise als rein wettbewerbsorientiert angesehen. Der andere wird zum “Feind, den es zu töten gilt”, und am Ende der Verhandlung wird es unweigerlich einen Gewinner und einen Verlierer geben. Dies wird als Wettbewerbsverzerrung bezeichnet. Gerade in dieser Wettbewerbslogik ist es nicht undenkbar, Manipulationstaktiken anzuwenden, um die Gegenseite zu besiegen, das ist kein “Tabu”. In seinem Buch “The heart and mind of the negotiator” macht Leigh Thompson übrigens eine erstaunliche Feststellung: Die große Mehrheit der Verhandlungsführer gibt zu, dass sie regelmäßig lügen – über die Bedeutung, die sie bestimmten Aspekten der Verhandlung beimessen, über die Tatsache, dass sie Alternativen haben, oder indem sie ihre Forderung übertreiben. Das ist nicht so schlimm, denn “alle machen es”, es ist “das Spiel” und “es hat keine Konsequenzen”. Man kann also durchaus lügen, solange es sich im Bereich dieser kleinen Lügen bewegt.

Kann man ein guter Verhandlungsführer sein, ohne zu lügen?

Ich würde diese Frage mit einem Zitat von Fisher und Ury beantworten, den Autoren des Buches “Getting to yes”, auf dem die Methode des begründeten Verhandelns beruht. Laut Ury Fischer und Ury gibt es zwei Dimensionen hinter jeder Verhandlung: die Personendimension, d. h. mit wem man verhandelt, und die Problemdimension, d. h. worüber man verhandelt. Nach diesen Autoren bedeutet gut verhandeln nicht, dass man nur die Problemdimension, die Dimension der “Leistung”, auf Kosten der Personendimension bevorzugt. Gut verhandeln bedeutet, die Beziehung langfristig zu pflegen, Vertrauen zu schaffen und zu entwickeln, nach Gemeinsamkeiten zu suchen… Lügen mag kurzfristig sicherlich opportun erscheinen, wird aber negative Folgen für die Beziehung haben, insbesondere wenn die Lüge vom anderen Verhandler erkannt wird.

Wie sieht das Profil eines Lügners aus?

Wie ich bereits erwähnt habe, neigt jeder Mensch in unterschiedlichem Maße zum Lügen. Die Forschung hat jedoch bestimmte Profile oder Umstände identifiziert, die eher zum Lügen neigen.

Zunächst einmal gibt es Profile, die als “Individualisten” oder “Proselfs” bezeichnet werden. Diese Bezeichnung bezieht sich auf Verhandlungsführer, die dazu neigen, ihren persönlichen Gewinn auf Kosten des Gewinns ihres Gegenübers zu bevorzugen. Erinnern Sie sich an den typischen Wettbewerbsbias, der mit Verhandlungen verbunden ist. Um diese geht es auch hier. In diesem Verständnis wird die Verhandlung als eine Situation erlebt, in der es nur einen Gewinner geben kann. Es ist daher wenig überraschend, dass Individualisten lügen mehr als ein anderes Profil von Verhandlungsführern, das der “Prosozialen”. Prosoziale sehen Verhandlungen als ein Problem, das zu zweit gelöst werden muss und bei dem es gilt, sowohl die eigenen Bedürfnisse als auch die des anderen zu befriedigen.

Zweitens: Verhandlungsführer mit einem hohen Gefühl der “Selbstwirksamkeit”. Im Allgemeinen drückt Selbstwirksamkeit den Glauben an die eigene Fähigkeit aus, eine Aufgabe richtig zu erledigen. Bei Verhandlungen bedeutet ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit, dass man auf seine Fähigkeit vertraut, gut zu verhandeln. Gaspar und Schweitzer (2019) stellen fest, dass Verhandler mit hoher Selbstwirksamkeit die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Lügen aufgedeckt werden, signifikant unterschätzen, was sie zu weiteren Lügen motiviert.

Und schließlich die Verhandler, die sich in einem vorteilhaften Machtverhältnis befinden. Ähnlich wie die zuvor erwähnten Verhandlungsführer, die auf ihre Fähigkeiten vertrauen, haben “mächtige” Verhandlungsführer Schwierigkeiten, die Möglichkeit, “erwischt” zu werden, richtig einzuschätzen.

Wie soll man auf eine Lüge reagieren?

Vielleicht geht es zunächst darum, detailliert zu beschreiben, was man nicht tun sollte. Die Wut darüber, betrogen worden zu sein, kann dazu führen, dass der Verhandler den Lügner aggressiv konfrontiert. Den anderen zu konfrontieren bedeutet, ihm wörtlich zu sagen, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass er lügt. Diese legitime und natürliche Reaktion ist jedoch riskant.  Der “entlarvte” Lügner kann sich gedemütigt fühlen, sein Gesicht verlieren und so die Verhandlung unterbrechen. Die “Dimension der Person” zu pflegen bedeutet auch, den Gesprächspartner nicht zu demütigen.

Was ist also die richtige Haltung, die man einnehmen sollte? Zunächst einmal sollte man ein Klima schaffen, in dem Lügen nicht erwünscht sind. Je besser man sein Gegenüber kennt, desto größer ist das Vertrauen und desto unwahrscheinlicher ist es, dass man lügt. Man muss also im Vorfeld an der Beziehung arbeiten. Auch während der Verhandlung kann man viele Fragen stellen. Die Arbeit von Schweitzer und Croson (1999) zeigt nämlich, dass die Anzahl der Fragen, die während einer Verhandlung gestellt werden, umgekehrt proportional zur Anzahl der formulierten Lügen ist.

Zweitens denke ich, dass man hinsichtlich seiner Fähigkeit, Lügen aufzuspüren, demütig sein sollte. Die Forscher sindsich in diesem Punkt einig: Wir sind schlechte Lügendetektoren! Eine Lüge wird nur in einem von zwei Fällen richtig erkannt, so dass viel dem Zufall überlassen bleibt. Was wären die Folgen, wenn man einen Verhandlungspartner fälschlicherweise zur Rede stellt, obwohl er in gutem Glauben ist?


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